Kaum eine Branche sieht sich aktuell einem drastischeren Wandel unterzogen als der Handel. Die Corona-Pandemie hat diesen Prozess im Jahr 2020 nochmals beschleunigt. Was das für die Welt der Logistik bedeutet, erklärt der Geschäftsführer von P3 Logistic Parks Deutschland, Sönke Kewitz, im Interview.

Herr Kewitz, die Coronakrise beschleunigte die Entwicklung des E-Commerce vom Nischen- zum Massenmarkt rasant. Wie geht es Ihrer Meinung nach künftig mit der Retailbranche weiter?

Ich bin mir sicher: Die Zukunft des Einkaufs ist online – und das gilt für Non-Food-Produkte genauso wie für Lebensmittel. Für Konsumenten, die sich an den Komfort gewöhnt haben, flexibel von zu Hause einzukaufen, werden physische Stores eher verzichtbar.  Der Einkauf von Lebensmitteln im Internet hat sich während der Coronakrise zu einem Erfolgsmodell entwickelt.

Sehen Sie Anzeichen dafür, dass dieser Trend in den kommenden Jahren anhält?

Ja, ich sehe ermutigende Anzeichen. Die Managementberatung EY Parthenon geht davon aus, dass der Umsatz des Segments bis 2024 von heute 1,8 Mrd. Euro auf 4,3 Mrd. Euro wachsen wird. Etablierte Player wie Amazon Fresh oder Rewe arbeiten daran, vorhandene Kapazitäten zu erhöhen und ihre Lieferinfrastruktur auszubauen. Andere Wettbewerber werden folgen, neue Anbieter werden in diesen vielversprechenden Markt eintreten. Mittelfristig erwarte ich daher, dass viele Vertreter des Einzel- und Großhandels die Chancen des Online-Geschäfts nutzen wollen – und in Zukunft eigene Strukturen aufbauen oder mit Lieferdiensten und Logistikunternehmen zusammenarbeiten.[1]  

Der Online-Supermarkt wird sich also auch bei deutschen Verbrauchern etablieren?

Die Coronakrise hat den traditionell eher konservativen deutschen Verbrauchern einige Vorteile des Lebensmitteleinkaufs im Internet vor Augen geführt: Der digitale Einkauf erspart Zeit – und vielfach auch Stress –, die Auswahl ist oft größer als im kleinen Supermarkt um die Ecke und der gegenwärtig so wichtige Infektionsschutz ebenfalls. Die besten Anbieter stellen zudem sicher, dass die Kühlkette bis zur Lieferung an die Haustür nicht unterbrochen wird.  Der aktuelle Boom führt jedoch selbst etablierte Händler im LEH-Bereich an ihre Grenzen. Lieferzeit von bis zu zwei Wochen sind bei Supermärkten – ähnlich wie bei Drogeriemarktketten – daher aktuell keine Seltenheit.

Welchen Beitrag kann die Logistikbranche leisten, um den Handel zu unterstützen?

Was wir im Retailsektor aktuell beobachten, sind Wachstumsschmerzen, die viele Branchen im Zuge der Digitalisierung durchleiden oder bereits durchlitten haben. Die Möglichkeiten des Online-Handels stellen lange Zeit gültige Grundsätze in Frage. Mit Blick auf den Einzelhandel gerät beispielsweise der stationäre Store als traditionelles Geschäftsmodell unter Druck. Im Lebensmittelbereich waren die Veränderungen in Deutschland bislang sehr moderat. Durch die Coronakrise hat der Wandel jedoch auch in diesem Handelssegment erheblich an Dynamik gewonnen. Auf diesen plötzlichen Wandel waren indes nur wenige Player vorbereitet. Wir bei P3 verstehen die Logistikbranche schon seit langer Zeit als einen essenziellen Teil des Handels und sind überzeugt davon, dass wir für Retailer kurz- und langfristig wichtige Unterstützung leisten können – entlang der gesamten Lieferkette.

Was bedeutet das konkret, gerade hinsichtlich der aus Verbrauchersicht zentralen Kriterien für das Online-Shopping?

Im Online-Handel ist der Parameter Zeit ein zentraler Faktor im Wettbewerb um die Kunden. Immer mehr Konsumenten gewöhnen sich an das Konzept der Same-Day-Lieferungen, die Amazon bereits für viele Produktkategorien anbietet. Der nächste Schritt ist die Same-Hour-Lieferung, die vor allem im Lebensmittelsektor zukünftig eine bedeutendere Rolle spielen wird. Hinzu kommt die gewünschte Flexibilität im Hinblick auf den Ort der Lieferung: Verbraucher können inzwischen entscheiden, ob die Ware nach Hause, ins Büro, an eine Packstation oder doch in den physischen Laden geliefert werden soll. Amazon führt derzeit verstärkt „Amazon Locker“ ein, eigene Abholstationen mit Selbstbedienungs-Schließfächern. Hier wird Logistik als der wichtigster Erfolgsfaktor sichtbar. Die Bedeutung von Logistik für den Erfolg von Handelsunternehmen wird weiter steigen, denn langfristig erfolgreich werden jene Retailer sein, die ihre Kunden mit Flexibilität in Bezug auf Lieferzeit und -ort überzeugen. Aus Handelssicht ist jetzt der richtige Zeitpunkt, die Logistikprozesse zu überdenken und die Bereiche Beschaffungslogistik, Lagerlogistik, Distributionslogistik und Filiallogistik zu optimieren und aufeinander abzustimmen.

Welche Rolle spielt „Urban Logistics“ in diesem Zusammenhang?

„Urban Logistics“ ist ein sehr spannendes und für den Handel sehr relevantes Thema. Denn Logistikflächen in innerstädtischen Lagen werden als erfolgskritische Faktoren zukünftig immer wichtiger. Kurze Wege sind ein enormer Vorteil, um als Händler die Verbraucher schnell und pünktlich beliefern zu können. Hinzu kommt: Je kürzer der letzte Transportabschnitt einer Lieferkette, desto geringer sind die Gesamtkosten des Lieferprozesses. Das ergab eine Studie, die wir Ende 2019 gemeinsam mit Cushman & Wakefield unter dem Titel „Last Link. Quantifying The Cost“ veröffentlicht haben. Die Studie analysiert Kostenaspekte der „Letzten Meile“ und schlüsselt diese detailliert auf. Ein zentrales Ergebnis: Rund die Hälfte der gesamten Logistikkosten entstehen auf dem letzten Stück der Lieferkette bis zum Kunden. Investitionen in urbane Logistikzentren können für viele Händler sehr lohnenswert sein. Die vor allem in Großstädten höheren Mietkosten werden sehr häufig schon durch Ersparnisse dank kürzeren Transportwegen kompensiert.

Was bedeutet das für Logistikimmobilienentwickler wie P3?

Wir sehen in dieser Entwicklung eine große Chance und wollen den Retailsektor mit innovativen Angeboten unterstützen. Auch von Logistikimmobilienentwicklern erfordert dies die Bereitschaft zur Veränderung und die Entwicklung neuer, überzeugender Konzepte. Die größte Herausforderung betrifft die Flächenknappheit in den Städten. Die Umnutzung von verlassenen Retail-Flächen ist für uns daher einer der vielversprechendsten Trends. Leere Einkaufszentren oder sogenannte Geistermalls verfügen über die wesentliche Gebäudeausstattung und sind verkehrstechnisch bestens angebunden. Sie bieten damit ideale Voraussetzungen, um weiteren Flächenverbrauch durch steigenden Logistikbedarf zu vermeiden und die Logistikprozesse für die Letzte Meile zu optimieren.

P3 hat jüngst bekanntgegeben, sein deutsches Portfolio um 33 Retail-Logistikstandorte zu erweitern. Steht die Übernahme im Zusammenhang mit diesem Trend?

Mit dem Matrix-Portfolio konnten wir unseren deutschen Immobilienbestand um 33 innerstädtische METRO Standorte erweitern. Die Assets befinden sich in ausgezeichneter Lage in deutschen Großstädten, etwa in Berlin, Dortmund, Nürnberg, Hamburg, Hannover, Köln, Dresden und Leipzig. Im ersten Schritt möchten wir die Zukunftsstrategie und Bedürfnisse von METRO verstehen. Uns ist Asset-Management auf Augenhöhe mit den Mietern sehr wichtig. Wir freuen uns darauf, uns mit METRO auszutauschen und Hand in Hand mit ihm zusammenzuarbeiten, um gemeinsam langfristig Wertpotenziale zu erschließen.